22.02.2011, 23:44
Das TV-Magazin "Report München" hat in der gestrigen Sendung vom 21.01.11 über die zunehmende Gewalt gegen Beamte und Beschäftigte im Öffentlichen Dienst berichtet: "Bedroht, beleidigt, bedrängt. Angst in deutschen Ämtern".
Kommentar und Tipps:
Das Spektrum der Gewalt reicht von verkratzten Privatwagen über Beschimpfungen, Randalen, sexuellen Beleidigungen und Bedrohungen bis hin zu brutalen tätlichen Übergriffen im Büro und in der Freizeit. In den Kommunen sind besonders Mitarbeiter im Sozialamt oder Jobcenter (Leistungssachbearbeiter, Sozialarbeiter), Jugendamt, Ordnungsamt (Politessen, Außendienst), Ausländeramt und Vollstreckungsbeamte betroffen. Als besonders risikoreich gelten folgende Aufgaben:
a) Sicherheitsvorkehrungen der Behörden:
Zitat: Bericht: Pia Dangelmayer, Hendrik Loven
Schnitt: Nina Herdin
Filmtext: "Dann bin ich zu Boden gegangen und er hat weiter auf mich eingetreten. Mir läuft es immer noch eiskalt den Rücken runter."
Gewalt: Alltag in deutschen Behörden?
Wir treffen den Mitarbeiter eines Sozialamts. Er wurde mehrfach angegriffen, und das innerhalb weniger Wochen. Als er gezwungen war, einem Hilfeempfänger Leistungen zu kürzen, fing der plötzlich an zu schreien – und prügelte auf ihn ein.
Betroffener: "Da hat jemand richtig massiv auf mich eingeschlagen, mit Fäusten, ich bin zu Boden gegangen. Und wenn man dann am Boden liegt und es kommen Fußspitzen, Schuhspitzen auf einen zu, hat man schon Angst. Ich hätte mir das eigentlich vorher nie so träumen lassen, aber natürlich hat man Angst."
Er musste ins Krankenhaus – mit Platzwunde und starken Prellungen. Einen Notrufknopf gab es nicht, seine Kollegen haben den Tumult gehört und ihn gerettet.
Die Bedrohungen können vielfältig sein. Oft geht das über Wochen. So wie bei dieser Verwaltungsangestellten aus München. Sie arbeitet in einem Sozialbürgerhaus – ein Kunde hat auf ihrem Anrufbeantworter fast 40 einschüchternde Nachrichten hinterlassen, auch Morddrohungen: "Ich komme vorbei mit einer drei Zentimeter dicken Brechstange und dann kriegen Sie oder irgendein Kollege von Ihnen, es gibt ja Sippenhaft, eine auf die Fresse!"
Betroffene: „Es geht mir durch den Kopf, dass ich also Wut, Angst, dass er also doch dieses Haus betritt und einen meiner Mitkollegen erwischt. Es ist, dass ich ihn auf einem Hausbesuch mal treffe oder dass er mir also dann doch mal auflauern könnte und mich attackieren könnte.“
Hamburg kämpfte jahrelang mit massiven Übergriffen auf Behördenmitarbeiter – die Stadt musste handeln: Heute versucht sie, in fast allen Hamburger Behörden hohe Sicherheitsstandards zu etablieren. Wie hier im Jobcenter Mitte: Am Eingang wacht ein Sicherheitsdienst, die Mitarbeiter am Empfang sitzen hinter Glas. Und auch die Büros sind auf mögliche Übergriffe vorbereitet, wie uns der Amtsleiter zeigt.
Gerhard Naucke, Jobcenter Hamburg Mitte: "Wir haben hier die Möglichkeit für den Sacharbeiter: Es gibt eine so genannte Fluchttür ins Nebenzimmer, so dass der Kollege oder die Kollegin, wenn sie hier sitzt, ihre Arbeit macht und sich bedroht fühlt oder in der Tat, was sehr selten vorkommt, massiv angegangen wird, dass sie die Möglichkeit hat, da ist der Kunde, ins Nebenzimmer zu flüchten und erstmal aus dem Gefahrenbereich weg zu sein."
Eine weitere Maßnahme: Keine gefährlichen Gegenstände auf dem Tisch: Scheren oder schwere Locher müssen weggeschlossen werden – denn sie wurden schon als Wurfgeschoss oder Stichwaffe gegen Mitarbeiter benutzt. Im Amtsdeutsch heißt das „Entwaffnung“ des Arbeitsplatzes.
Doch warum rasten Menschen immer öfter in Behörden aus? Soziologen sehen die Gründe in der gesellschaftlichen Entwicklung.
Prof. Wilhelm Heitmeyer, Gewaltforscher: "Das hat glaube ich auch etwas damit zu tun, dass sich bestimmte Normen oder Kernnormen in dieser Gesellschaft durchaus verändert bzw. aufgelöst haben. Wir können etwa feststellen, dass in der Bevölkerung ein ziemlich hoher Anteil nicht mehr daran glaubt, dass soziale Gerechtigkeit in dieser Gesellschaft überhaupt noch realisierbar ist."
Besonders betroffen: die Jobcenter. Hier werden Mitarbeiter seit der Einführung von Hartz IV vermehrt Opfer von Gewalt: Immer häufiger melden sie Übergriffe. Doch nicht nur Sozialbehörden sind betroffen. In Leipzig gab es im vergangenen Jahr einen der schwersten Übergriffe – im Finanzamt. Der Amtsleiter: immer noch fassungslos.
Dethart von Normann, Finanzamt Leipzig: "Das ist der Tatort, wo dieser Anschlag stattgefunden hat. Also mein Kollege sitzt hier auf dem Stuhl hinter seinem Schreibtisch, sieht den Täter auf einmal in der Tür stehen, der Täter hat ein Gefäß in der Hand, schüttet den Inhalt dieses Gefäßes über meinen Kollegen. Es stellt sich später heraus, es ist Brennspiritus, der Kollege schaut an sich herunter, blickt dann auf, sieht, dass der Täter ein Gerät in der Hand hat, das sich dann später als Stabfeuerzeug herausstellt. Der Täter wollte meinen Kollegen tatsächlich also anzünden."
Der Mitarbeiter konnte den Angreifer überwältigen und Schlimmeres verhindern. Das Gericht wertet den Anschlag als versuchten Mord, der Angeklagte wird in eine psychiatrische Einrichtung eingewiesen.
Noch reagieren die meisten Behörden erst, wenn etwas passiert ist.
Der Sozialamtsmitarbeiter hat sich erholt, doch eines ärgert ihn bis heute besonders. Betroffener: "Dass meine Vorgesetzten sich für die ganze Situation nicht sonderlich zu interessieren schienen, ich hab nicht einen Anruf gekriegt, wie es mir eigentlich geht."
Kommentar und Tipps:
Das Spektrum der Gewalt reicht von verkratzten Privatwagen über Beschimpfungen, Randalen, sexuellen Beleidigungen und Bedrohungen bis hin zu brutalen tätlichen Übergriffen im Büro und in der Freizeit. In den Kommunen sind besonders Mitarbeiter im Sozialamt oder Jobcenter (Leistungssachbearbeiter, Sozialarbeiter), Jugendamt, Ordnungsamt (Politessen, Außendienst), Ausländeramt und Vollstreckungsbeamte betroffen. Als besonders risikoreich gelten folgende Aufgaben:
- Kürzung oder Ablehnung von Sozialleistungen wie ALG II (Hartz IV)
- Ablehnung des Aufenthaltsrechts bei Ausländern bzw. Asylbewerbern
- Zwangseinweisung von psychisch Kranken in geschlossene psychiatrische Kliniken
- Verhängen von Verwarngeldern, Bußgeldern, zum Beispiel im ruhenden Verkehr
- Abschleppen von Fahrzeugen
- Beitreiben/Vollstrecken von Geld-Forderungen
- Inobhutnahme von Kindern, Entzug des Sorgerechts, etc.
- Aussprechen von Platzverweisen, z.B. bei Lärm
a) Sicherheitsvorkehrungen der Behörden:
- Organisatorische Rahmenbedingungen: Personalausstattung, EDV-Ausstattung, Büroausstattung, Raumgrößen, Gestaltung der Wartezonen, Öffnungszeiten, Fortbildung, Gesundheitsförderung, adäquate Bezahlung, u.s.w.
- Präsenz von Wachdiensten / Sicherheitsdiensten
- Sicherheitseinrichtungen (z.B. Trennglasscheiben, Eingangskontrollen, Metallschleusen, Kameraüberwachung)
- Sicherheitsabstände durch Büromöbel, z.B. eckige Tische, keine abgerundeten Freiformtische
- Kollegen in Ruf- und Sichtweite durch geeignete Räume (z.B. Doppelbüros, Großraumbüros)
- Geeignete Alarmanlagen, im Außendienst Dienst-Handy
- Metalldetektoren
- Gespräche, Außendienst und Hausbesuche nur zu zweit (wie Polizei)
- Sichere Parkplätze für Verwaltungsmitarbeiter
- Hundeverbot im Rathaus und bei Besuchen im Außendienst
- Zutrittsverbot / Hausverbot bei Alkoholisierung
- Fluchtmöglichkeiten bieten (z.B. Fluchttüren)
- Bereitstellung von CS-Gas
- Ersthelfer und Erste-Hilfe-Kasten verfügbar machen
- Dolmetscher bei Gesprächen mit Ausländern hinzuziehen
- Deeskalationsschulungen
- Supervision
- Konsequent Hausverbote aussprechen, Strafanzeigen stellen
- Schwierige Gespräche durch Vorgesetzte führen lassen bzw. die Möglichkeit zum Gespräch mit Vorgesetzten anbieten
- Besondere Vorsichtsmaßnahmen bei Bürgern mit psychischen Erkrankungen, Vorstrafen, bei Alkohol- oder Drogenkonsum, aggressiven Verhaltensweisen, hoher Gewaltbereitschaft, etc. treffen, z.B. Amtsleitung, Sicherheitsdienst oder Polizei hinzuziehen
- Im Außendienst Dienstfahrzeug statt Privatfahrzeug verwenden
- Besondere Vorsicht bei Dunkelheit im Außendienst, z.B. nur zu zweit tätig werden
- Keine Gegenstände griffbereit liegen lassen, die potentiell zu Waffen werden können (z.B. Scheren, Locher, Tacker, Vasen, Bilder)
- Wohnort möglichst nicht im Arbeitsort wählen
- Private Telefonnummer und Adresse nicht im Telefonbuch, Internet, u.ä. veröffentlichen
- Vorsicht bei Nutzung sozialer Netzwerke (Facebook, Xing, Google+, Twitter, etc.)
- Familienangehörige (insbes. Kinder) in Sicherheitskonzept einbeziehen, z.B. keine Fotos von Kindern im Büro platzieren
- Vorsicht auf öffentlichen Veranstaltungen (z.B. Stadtfesten), in öffentlichen Verkehrsmitteln, etc.
- Vorhalten von Abwehrwaffen zur Selbstverteidigung wie CS-Gas oder Pfefferspray
- Grenzen erkennen - Bewältigung gefährlicher Situationen professionellen Kräften überlassen (Sicherheitsdienst, Polizei)
- Bedrohungen und Angriffe dokumentieren, ggfs. Unfallanzeige stellen